Vietnam: Die Vielfalt des Südens

Vietnam: Die Vielfalt des Südens

Nach ein paar Monaten des Reisens können wir mit Stolz behaupten, manche Aufgaben ein bisschen gelassener anzugehen. Was anfangs noch ein kleines Abenteuer war (Geld holen, Taxis rufen, Bustickets auf der Landessprache kaufen), gehen wir mittlerweile etwas routinierter an. Blöd wird es nur, wenn man irgendwann zu gelassen wird. Und so passiert es, das wir bei unserer Ankunft in Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt) auf den ältestens Trick im Buch der Betrügereien reinfallen: Wie zwei blinde Hühner laufen wir aus dem Terminal und direkt dem erstbesten Taxifahrer in Hände, der uns eine Fahrt ins Zentrum für „nur 700“ anbietet. In meinem verstrahlten Kopf klingt das irgendwie in Ordnung und wir schlagen ein. Fehler. Als wir merken, dass wir so richtig reingelegt wurden und das 10-fache des eigentlichen Fahrtpreises bezahlt haben, sind unserer Rucksäcke schon verladen und es gibt kein Zurück. Wir ärgern uns immens über unsere eigene Dummheit und strafen den Fahrer mit zornigen Blicken. Er und sein mysteriöser Begleiter haben aber nichts anderes zu tun, als eine aggressive Stimmung zu verbreiten und sich heimlich über das Geschäft ihres Lebens zu freuen. Als unser Ärger verflogen ist, nehmen wir unseren kleinen Stunt als Erinnerung, in Zukunft doch ab und zu nochmal nachzudenken. Immerhin sind wir nicht die einzigen, die auf den Trick reingefallen sind. Der freundliche Hostel-Mitarbeiter, der uns empfängt, schimpft über die Taxi-Mafia, die dem Ruf seines Landes erheblichen Schaden zufügt.

Saigon: Von Schweinen auf Mopeds

Trotz des misglückten Starts wollen wir ohne Vorurteile (es hält sich das traurige Klischee, dass Abzocken hier an jeder Ecke lauern) durch das Land reisen. Also erforschen wir erstmal Saigon, dessen Straßen das Fenster zu der vietnamesischen Welt sind. Hier spielt sich das ganze Leben ab. Aber um überhaupt weiter als 10 Meter zu kommen, müssen wir erst einmal lernen, wie man die Straße überquert. Durch die Stadt schiebt sich permamenent ein Wald von hupenden Mopedfahrern – die meisten davon transportieren unfassbare Mengen an Kisten, Körben, Flaschen, Schweinen, Töpfen, Bäumen oder Passagieren. Oft sind ganze Familien auf einem Roller unterwegs. Die Bürgersteige müssen als Parkplätze herhalten, und so hat man als Fußgänger schlechte Karten. Wer wartet, wartet ewig. Also heißt es: einfach drauf los gehen. Der Verkehr wird einen umfließen – nur nicht anhalten oder langsamer werden. Dafür muss man erstmal ganz viel Vertrauen aufbringen, aber es klappt tatsächlich. Wir gleiten durch das Moped-Meer und sind erstaunt, als wir heil auf der anderen Straßenseite ankommen. Auf diese Weise schlagen wir uns durch unser lebhaftes Viertel und kommen direkt auf den Geschmack des legendären vietnamesischen Ca phe sua da (eine dickflüssige Essenz von Koffein und süßer Kondensmilch) und des frischen Streetfoods, das wie schon in Bangkok allgegenwärtig ist. Nur die Tische und Stühle sind noch kleiner (ich könnte locker die gesamte Bestuhlung einer Garküche in meinen Rucksack packen) und die Zutaten unbekannter. Hauptsächlich ernähren wir uns von Pho, einer herzhaften Fleisch- und Nudelsuppe mit vielen frischen Kräutern und Gemüse. „Das Leben ist zu kurz, um eine schlechte Pho zu essen,“ sagt man hierzulande. Wie wahr!

Saigon ist eine turbulente, lebhafte, laute, aufregende und unheimlich facettenreiche Stadt. Von fünfspurigen Straßen kann man in Gassen abbiegen, die nicht breiter als 2 Meter sind und in denen gekocht, gezockt und getratscht wird. Überall sind fliegende Händler, die uns Sonnenbrillen andrehen wollen, ungeachtet der Tatsache, dass wir bereits welche tragen. Nach ein paar Tagen zieht es uns langsam in ruhigere Gegenden, schließlich ist das hier die vierte Großstadt in Folge, die wir besuchen. Aber wir wollen nicht weiterfahren, ohne vorher das Kriegsopfer-Museum zu besuchen. Die Ausstellung hat einen etwas propagandistischen Beigeschmack, aber das macht sie nicht weniger schockierend. Über die Verbrechen im Vietnam-Krieg (bzw. im Amerikanischen Krieg, wie man hier sagt) zu lernen, macht traurig. Aber die unzensierten Bilder und Informationen sollen uns in den nächsten vier Wochen helfen, den komplexen vietnamesischen Charakter verstehen zu lernen.

Im Wiedervereinigungs-Express

Als nächstes wollen wir mit dem Zug Richtung Norden fahren. Der Wiedervereinigungs-Express ist der einzige Zug, der zwischen Süden und Norden verkehrt. Er ist zwar das langsamste Verkehrsmittel, aber eine schöne Alternative zum Open Bus, der eine Art Hop-On-Hop-Off Service für Touristen bietet. Der Bus ist zwar praktisch und spottbillig, aber im Zug kommt man Land und Leuten näher. Schon in der Wartehalle sind wir eine große Attraktion, denn wir sind die einzigen Ausländer weit und breit. Unsere riesigen Rucksäcke müssen extrem komisch aussehen. Und im Gegenzug beäugen wir interessiert diverse ominöse Päckchen und Kisten, die von Mopeds angekarrt und in den Zug verladen werden. Im Abteil mit ganz viel 70er-Jahre Eisenbahn Charme sitzen wir einem älteren Paar gegenüber, das uns zu ignorieren scheint. Die anderen Passagiere gucken immer mal wieder ungläubig rüber und wir versuchen uns irgendwie in die Gunst der Reisenden zu lächeln. Sind wir jetzt erwünschte Gäste oder ein Störfaktor? Es ist schwer zu sagen und so konzentrieren wir uns auf die schönen Landschaften, die langsam vorbeiziehen. Irgendwann hat man sich aber an unsere Anwesenheit gewöhnt und nach ein paar Stunden zückt die Dame von gegenüber eine Tüte mit einer Art Bohnen und hält sie uns plötzlich mit einem Lachen vor die Nase. Wir greifen zu und lernen, wie man die Frucht schält und verzehrt. Immer wieder sollen wir uns bedienen und so entwickelt sich ein wunderbarer Dialog, der mit Lachen, Gesten und einem „Danke“ auskommt. Es sind die kleinen Begegnungen dieser Art, die uns im Land ankommen lassen und die wir nie vergessen werden.

Über Nha Trang nach Quy Nhon

Als der Zug in Nha Trang hält, müssen wir uns leider von unseren neuen Freunden verabschieden, sie scheinen noch eine längere Reise vor sich zu haben. Wir verbringen zwei Tage in dem entspannten Strandort und erfreuen uns am schönen Strand und am günstigen Seafood, das wir in einem Hinterhof mit rekordverdächtig kleinen Stühlen entdecken. Aufgrund sprachlicher Barrieren schaffen wir es nicht, weniger als 1 Kilogramm Scampi zu bestellen, die unter Gekicher von ein paar Jungs gegrillt werden.

Als nächsten wollen wir in das umschwärmte Hoi An, aber teilen die lange in Reise in Quy Nonh, das touristisch überhaupt nicht erschlossen ist. Viele nutzen die Stadt nur zur Durchreise, aber wir haben Lust auf den unausgetretenen Pfaden zu wandeln. Die Fahrt mit dem Localbus dahin ist ein großer Spaß, da der Fahrer versucht, möglichst viele Menschen zu transportieren. Deshalb hält er hupend bei jeder Person an, die irgendwie in der Gegend rumsteht und so aussieht als hätte sie Interesse an einer Busfahrt. Die meisten davon machen aber einfach nur ihr Ding und winken ab. Außerdem wird an jedem Essensstand gehalten, als wäre es die letzte Möglichkeit, jemals wieder Proviant zu kaufen. Insgesamt kommen wir so auf ca. 185 Stops und statt der geplanten 4 sind wir 7 Stunden unterwegs. Dazu kommt, dass in Vietnam das Konzept von Fahrtrichtung und Spuren sehr frei interpretiert wird und eigentlich jeder da lang fährt, wo gerade Platz ist. Wahnsinn ist untertrieben.

In Quy Nhon herrscht eine komische Atmosphäre. Die Straßen sind viel zu groß für die wenigen Mopeds und Autos. Oft schallen Durchsagen aus Lautsprechern auf der Straße. Das Ganze hat einen merkwürdigen kommunistischen Charme. Wir wohnen etwas außerhalb in einem riesigen aber leeren Hotel und erkunden zunächst mal die lokalen Garküchen. Als wir uns in einer davon niederlassen, werden wir skeptisch von allen Gästen angeschaut. Die resolute Köchin serviert uns dennoch das Gericht des Tages. Für mich gibt es Hähnchen und Nadira bekommt Fisch. Beides ist köstlich und während wir essen, beobachtet man uns mit Neugier und Skepsis. Deshalb spricht sich auch schnell rum, dass Nadira unwissentlich das beste Stück des Fisches liegen gelassen hat und schließlich muss sie es unter den strengen Augen der Köchin aufessen. Nach erfolgreicher Klärung der Situation sind die skeptischen Mienen Lächeln und Thumbs-up gewichen und wir können erleichtert weiterziehen. Als wir am nächsten Tag wiederkommen, lacht die Köchin herzlich. Später auf den Weg in das Stadtzentrum wird uns endgültig klar, dass wir hier absolute Exoten sind. Es ist schwer zu beurteilen, ob wir willkommen sind, da die meisten Menschen uns anstarren als wären wir Außerirdische. Wir versuchen die Reaktionen aber als Neugierde und Erstaunen zu interpretieren und versuchen einen möglichst guten Eindruck bei den Locals zu machen. Oft bekommen wir auch ein Lächeln zurück. Es ist eine wichtige und interessante Erfahrung, einmal komplett fremd zu sein.

Mit unserem geliebten Wiedervereinigungs-Express soll es schließlich weiter in das historische Hoi An gehen. Man sagt, es sei Vietnams schönste Stadt. Wir sind gespannt.