Tokio Teil 2: Was heißt Liebe auf Japanisch?

Tokio Teil 2: Was heißt Liebe auf Japanisch?

Nach vier Tagen voller Erleben und Erstaunen haben wir das Gefühl besser in der Stadt angekommen zu sein. Wir bewegen uns nun nicht mehr ganz so hektisch wie anfangs, sondern scheinen das Treiben der Tokioter verstehen gelernt zu haben. Bevor wir anfangen, unser Local-Glück protzig vor uns herzutragen, begeht Tom diverse Schanden (in der U-Bahn im Weg rumstehen, bei Uobei den Automaten schrotten, inklusive eines Fast-Gesichtsverlusts des Kellners), die uns dann erfreulicherweise wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Dennoch ist es an der Zeit, sich fortan den etwas fortgeschrittenen Projekten zu widmen, wie zum Beispiel einem Abendessen mit Philipps japanischen Kollegen.

Rohes Hühnchen und ein paar Bier

Gesagt, getan, wir verabreden uns zu einem Blind Date an der Shibuya Station. Dort angekommen winken uns auch schon fröhlich drei Männer zu. Etwas nervös schütteln wir diverse Hände. Joey ist gefühlt drei Meter groß und grinst lässig, Naoki schenkt uns ein entwaffendes Lächeln und Andy lockert sofort die Stimmung durch angenehmen Smalltalk auf. Was ein Glück, alle drei wirken supernett. Anschließend geht es mit Vollgas durch die U-Bahn. Den ausgewählten Ort finden selbst die Locals nicht auf Anhieb, was uns irgendwie beruhigt und erneut zeigt, wie wahnsinnig groß diese Stadt ist. Nach einigem Wirrwar kommen wir im Restaurant an, setzen uns neugierig auf den Boden und schauen gespannt dem Treiben zu. Naoki bestellt uns erst einmal viel Bier, was gut ist, uns allen aber direkt ins Blut geht. Kaum ausgetrunken stehen sofort neue Biergläser und dann auch direkt Wein auf dem Tisch. Okay, das wird interessant. Steffi, Philipp und Tom haben schon rote Köpfe und scheinen etwas zu laut mit den anderen zu kommunizieren.

Naoki übernimmt glücklicherweise den kompletten Bestellvorgang und ordert uns die feinsten japanischen Spezialitäten: Mit Pilzen bestäubten Kohl, eine Suppe, in die ein rohes Ei geschlagen wird, wundervolles Fleisch am Spieß und anschließend die Königsdiziplin: Hühnchen-Sashimi. Rohes Hühnchen, wow. Die anderen reden uns gut zu und meinen, das hier sei einer der wenigen Orte in Japan, wo man so etwas essen könne (Nachsatz: Woanders würde man wahrscheinlich direkt sterben). Bevor ich mir aufgeregt das Hühnchen reinschiebe, ertönt eine warnende Stimme im hinteren Teil meines Kopfes. Ich überhöre sie geflissentlich und werde direkt belohnt: Wie immer im Leben schmecken die verbotenen Sachen am besten. Als ich irgendwann die Toilette aufsuche, erklärt mir mein besoffener Kopf, dass es nun an der Zeit sei, endlich einmal alle Klo-Knöpfe auszuprobieren. Zur Erklärung: Japanische Toiletten sind meist mit Sitzheizung, Klogeräusch-mit-Klatschgeräusch-Überspielen, diversen Spülungen und noch vielem mehr ausgestattet. Wie wild drücke an allen Knöpfen herum und setze fast das halbe Bad unter Wasser (größte bisher angerichtete Schande). Anschließend gehe ich leicht verlegen zurück an den Tisch und hoffe, dass niemand etwas bemerkt hat. Glücklicherweise befinden sich alle in lauten Gesprächen, bis mir Philipp und Tom aufgeregt winken. Mist, aufgeflogen, denke ich noch. Es stellt sich allerdings heraus, dass uns Naoki für den nächsten Tag zu sich nach Hause eingeladen hat. Was für eine Ehre! Erfreut geben wir uns High-Five und torkeln anschließend mehr als glücklich heimwärts.

Oiso und Enoshima: Vor den Toren Tokios

Am nächsten Morgen sieht die Welt irgendwie gar nicht mehr so rosig aus. Mit einem fetten Kater sitzen wir knatschig in der Bahn, die uns zu Naoki nach Oiso bringen soll. Nach einer guten Stunde Fahrt, grünem Tee und leichtem Streit scheint es allen etwas besser zu gehen. Als wir die Treppe am Bahnhof heruntergehen, winken uns vier Erwachsene und zwei Kinder zu – Naoki holt uns mit seiner Frau Yukari, seinem Sohn Luca und seinen beiden Freunden und deren Tochter ab. Wir sind sehr gerührt, dass uns zuliebe so viel Aufwand betrieben wird. Man erklärt uns freundlich, dass es jetzt nach Enoshima geht, wo man einen tollen Ausblick haben soll. Anschließend würden wir zu Naoki nach Hause fahren, wo es dann Sushi geben wird. Wir sind noch mehr gerührt. Irgendwie kann man es kaum glauben, dass diese unfassbar netten Menschen ihren freien Samstag opfern, um uns Wildfremde zu einem Aussichtspunkt zu kutschieren. Die Sonne scheint und wir fahren am Meer entlang, wo man immer wieder Surfer mit ihren Brettern vorbeigehen sieht. Naoki erzählt uns, dass die Gegend der totale Surfspot sei und wir tauschen uns aufgeregt über Wellen und Bretter aus (Danke Hawaii!).

In Enoshima angekommen wandern wir zu einer Aussichtsplattform, von wo aus man einen wunderschönen Blick auf den Fuji hat. Anschließend besichtigen wir den Enoshima-Schrein. Naoki erklärt uns kurz, wie das Ritual vonstatten geht: Zuerst wäscht man sich mit Quellwasser die Hände, danach stellt man sich einer Schlange vor dem Schrein an. Ist man an der Reihe, wirft man eine Münze Bargeld vor sich, verbeugt sich zweimal, klatscht zweimal in die Hände, hält die Hände vor sich geschlossen, überlegt sich einen Wunsch und verbeugt sich ein letztes Mal. Glücklicherweise bereitet ausnahmsweise keiner von uns weitere Probleme, sodass wir danach unsere Entdeckungsrunde entspannt fortsetzen können.

Als es anfängt zu dämmern, ist es an der Zeit, zu Naoki nach Hause zu fahren. Auf dem Rückweg bittet er uns, ein kleines, typisch deutsches Gericht zum Abendessen beizusteuern. Wir würden kurz noch im Supermarkt Halt machen, da könnten wir alles kaufen. Wie? Was? Herjeh! Vollkommen aufgelöst diskutieren wir mögliche 3-Gänge-Menüs und deren Umsetzung. Tom wird schließlich basisdemokratisch zum Koch bestimmt, da er als einziger ein einigermaßen ordentliches Essen zubereiten kann. Er wehrt sich nur kurz. Im Supermarkt suchen wir hektisch nach Zutaten und wählen schließlich Bratkartoffeln mit Frikadellen aus. Deutsch, deutscher, Frikadellen – das muss passen. Bei Naoki und Yukari angekommen, geht es auch direkt los. Wir anderen entscheiden uns für Im-Weg-Rumstehen, Gut-Zureden und Bier trinken. So kommt es, dass Tom schwitzend in einer japanischen Küche steht, Bratkartoffeln in einer unbeschichteten Pfanne brät und alle anderen ihm dabei interessiert zugucken. Einer filmt. Zum Glück scheint alles gut zu gehen, denn die Kinder (btw. die schönsten Kinder der Welt) schaufeln das Essen mit viel Freude in sich hinein. Und Kinder sind ja bekanntlich ehrliche Esser, sodass wir erleichtert aufatmen. Auch den Erwachsenen scheint es wirklich gut zu schmecken. Nun sind aber sind die Gastgeber an der Reihe und zaubern uns das weltbeste Sashimi auf den Tisch. Es ist unglaublich, wie frisch Fisch sein kann. Ich kratze meine gesamte Selbstbeherrschung zusammen, um nicht das ganze Sashimi auf einmal in mich hineinzustopfen. Danach gibt es Takoyaki, kleine Oktopus-Bällchen. Sie schmecken fantastisch.

Wir essen, plaudern mit den Erwachsenen über kulturelle Unterschiede zwischen Japan und Deutschland, lachen mit den Kindern, die aufgeregt hin-und herlaufen und wilde Spiele spielen. Wir verstehen immer noch nicht ganz, womit wir das alles verdient haben und ich fühle schon eine emotionale Tränen-der-Rührung-Welle aufkommen. Als wir nach einigen Essens-Geschenken auch noch handgeschnitzte Bento-Boxen geschenkt bekommen, brechen alle Dämme. Die Gastfreundschaft, die wir erleben, ist so ehrlich, ohne dabei an eine Erwartungshaltung gekoppelt zu sein. Vollkommen gerührt beschließen wir, unser Gast-Glück nicht überzustrapazieren und machen uns langsam auf den Heimweg. Der Abschied fällt sehr lange und sehr herzlich, mit sehr vielen Umarmungen und Danksagungen, aus. Als wir im Taxi sitzen, winken uns alle, bis wir um die Ecke verschwinden. Bester Abend ever, voller Glück fahren wir wieder zurück nach Shibuya.

Abschied und Abflug

Am nächsten Tag müssen wir leider auch noch Steffi und Philipp verabschieden – für die beiden geht es schon wieder nach Hause, während wir uns auf eine weitere Etappe aufmachen und nach Bangkok aufbrechen. Unsere Erlebnisse vom gestrigen Tag hallen noch nach und wir schreiben eine lange Dankesmail an Naoki und seine Familie, mit der Bitte, uns bald in Köln zu besuchen. Dieser Tag ist bis heute tief in unseren Herzen und wir verlassen Japan mit einem großem Liebesgefühl. Danke und sumimasen!